Festung Amerika

  • Bruce Schneier
  • Financial Times Deutschland
  • November 11, 2003

Im Jahr 2004 werden die USA viele Milliarden Dollar für Sicherheit ausgeben. Leider ist das meiste davon zum Fenster herausgeworfen – wirklichen Schutz bringt diese Aufrüstung nicht
VON BRUCE SCHNEIER

Der 11. September 2001 hat ein Trauma hinterlassen. Seit den Terroranschlägen brauchen die Amerikaner das Gefühl von mehr Sicherheit. An Flughäfen wurden Soldaten der Nationalgarde stationiert, an vielen öffentlichen und gewerb-lichen Gebäuden wurden intensi-vere Passkontrollen eingeführt, die Polizei überwacht wichtige Brücken und Tunnels.

Das Justizministerium und das FBI haben radikale neue Befug-nisse zur Terrorbekämpfung erhalten: Das Ministerium für Heimatschutz wurde gegründet, und massive staatliche Überwa-chungssysteme wie CAPPS II und TIA wurden finanziert. Doch trotz der guten Absichten, trotz des Geldes und trotz der Unannehm-lichkeiten für die Bürger sind diese neuen Sicherheitsmaßnah-men weitgehend ineffektiv.

Terroranschläge sind sehr sel-ten. Sie sind so selten, dass die Chancen, in einem Industrieland einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, fast gleich null sind. Die meisten Anschläge treffen nur wenige Menschen, der 11. Sep-tember war eine Anomalie. 3029 Menschen fielen den Terroristen zum Opfer. Im selben Jahr star-ben in den USA 156 005 Men-schen an Lungenkrebs, 41 967 im Straßenverkehr und 3433 an Un-terernährung.

Ein Problem bei der Sicherung Amerikas gegen den Terrorismus ist das Ausmaß der Bedrohung. Terroristen können Flugzeuge, Gebäude, Sportstadien, Wasserspeicher, Kraftwerke und chemische Lager angreifen – das macht die Verteidigung so schwierig. Wer sich für die Verteidigung dieser Ziele entscheidet, muss alles verteidigen. Wir wollen Terroranschlägen überall vorbeugen, daher sind Gegenmaßnahmen, bei denen die Bedrohung einfach verschoben wird, nur begrenzt von Wert. Wenn wir viel Geld für die Verteidigung unserer Flugzeuge ausgeben und dann Bomben in voll besetzten Sportstadien explodieren, haben wir dann wirklich etwas erreicht?

Schon die Verteidigung gegen eine bestimmte Bedrohung gestaltet sich sehr schwierig. Sicherheit ist – wie eine Kette – nur so stark wie ihr schwächstes Glied, und das Kontrollsystem für Flugpassagiere ist nur so sicher wie der unsicherste Flughafen des Landes. Hat man einmal den Check an einem Flughafen durchlaufen, kommt man bei den Anschlussflügen unkontrolliert durch.

Der Großteil der Sicherheitsmaßnahmen, mit denen wir täglich zu tun haben, versucht, die Bösen zu identifizieren, indem jeder verdächtigt wird. Die Technik will uns dabei zur Hilfe kommen: Rasterfahndung, um Terroristen herauszufiltern, Gesichtserkennung, um sie auf Flughäfen zu identifizieren, oder künstliche Intelligenz, um ein terroristisches Komplott rechtzeitig zu erkennen. Das Problem dabei ist dasselbe, wie bei Sicherheitsbeamten am Flughafen, die ihre Zeit damit verschwenden, Unschuldige zu durchsuchen: Fehlalarm. Terroristen und terroristische Komplotte sind so selten, dass fast jeder Alarm ein Fehlalarm ist. Milliarden von Dollar werden verschwendet, um falsche Spuren zu verfolgen, ohne die geringste Gewissheit, dass ein echtes Komplott aufgedeckt wird. Wenn ein Sicherheitsbeamter am Flughafen bei einem Unschuldigen ein Messer konfisziert, ist das ein Versagen des Sicherheitssystems.

Die einzige Möglichkeit, Terrorismus effektiv zu bekämpfen, ist altmodische Polizeiund Geheimdienstarbeit: terroristische Komplotte aufdecken, bevor sie umgesetzt werden, und dann die Terroristen selbst verfolgen. Jede Verhaftung eines Al-Kaida-Führers schwächt die Organisation. Jedes Land, das sich weigert, sie aufzunehmen, erschwert ihnen das Handeln. Natürlich brauchen wir einen gewissen Schutzwall rund um Flughäfen und öffentliche Gebäude. Das Unterbrechen der Finanzierungsund Kommunikationskanäle und die Verhaftung der Anführer haben al-Kaida aber viel mehr geschadet als alle Wachen, Schranken und Ausweiskontrollen zusammen.

Sicherheit ist immer ein Kompromiss. Eine Gesellschaft kann so viel Sicherheit bekommen, wie sie will, solange sie bereit ist, Geld, Zeit, Bequemlichkeit und Freiheiten zu opfern. Leider sind die meisten Sicherheitsmaßnahmen, die man uns auferlegt, faule Kompromisse: Sie erfordern riesige Opfer und bieten im Gegenzug nur wenig Sicherheit. 2004 werden wir noch mehr von diesem „Sicherheitstheater“ erleben, das den Leuten bestenfalls eines bringt: das Gefühl von Sicherheit.

Das soll nicht heißen, dass Flughafensicherheit völlig nutzlos ist oder dass man es nicht besser machen könnte. Doch Amerika muss klügere Sicherheitskompromisse eingehen. Das Geld sollte lieber für Ermittlungsarbeit ausgegeben werden, um Terroristen auf der ganzen Welt zu verfolgen, als für aufdringliche Maßnahmen zu Hause. Die Beamten an Flughäfen und Grenzen brauchen mehr Handlungsspielraum, damit sie auf ihren Instinkt hören können, statt nur blind der Technik zu folgen. Der Bau einer Festung Amerika wird die Sicherheit des Einzelnen nicht erhöhen.

Categories: Terrorism

Sidebar photo of Bruce Schneier by Joe MacInnis.